Obwohl die Sonne über der Manhasset Bay und Port Washington scheint, wird es nachts schon ziemlich frisch. Die nordischen Gänse bevölkern jetzt die Bucht und grasen auf den umliegenden Wiesen und Feldern. Ein Zeichen dafür, dass der Winter aus dem Norden langsam näher rückt. Da sollte auch ich mich zum „Snow Bird“ machen und Richtung Süden aufbrechen. Als „Snow Birds“ bezeichnen die Amis die Bootsleute, die vor dem Winter in den Süden ziehen.

 Vorher ist jedoch noch ein Großeinkauf fällig, Wer weiß, wann ich wieder so bequem mit dem Wasser Taxi bis fast vor den Supermarkt gefahren werde. Die Gasflasche verträgt auch noch eine Füllung. Das hatte ich schon vorher in einer Eisenwarenhandlung versucht. Bei ACE, einer Kette, wo es bisher möglich war. Hier aber Fehlanzeige. Dafür bekam ich einen Tipp für einen anderen Laden im Ort. Mit der Flasche also den Berg in den Ort hoch und in den Laden. Auch hier geht nichts. Dafür gibt es aber wieder eine Empfehlung. Allerdings in der Nachbarbucht. Am besten mit dem Boot erreichbar. Ich trotte also unverrichteter Dinge wieder zum Anleger des Wassertaxis. Dort wartet ein anderer Bootseigner. Er hat eben das Taxi angefunkt und es wird gleich kommen. Dann die Frage nach meiner Flasche. Ich erzähle kurz. Kann ja wohl nicht sein, dass es im Ort kein Gas gibt. Er kennt da Läden und ist mit dem Auto da. Er wird mich fahren. Ein fetter Van, voll mit allerlei Kram. Ich schaufele mir den Beifahrersitz frei. Ob ich denn auf dem Schiff wohnen würde? Allein unterwegs? Deutscher? So reiht sich Frage an Frage, bis wir vor dem Laden stehen, aus dem ich gerade gegangen bin. Ach so, na dann wenden und auf zum nächsten. Während ich in den Laden stürze, hat er schon wieder gewendet und wartet. Hier gibt es die Auskunft, dass es in ganz Port Washington kein Gas gibt. Nur im Nachbarort, 20 Meilen entfernt. Mein Fahrer ruft jetzt einen Freund an, der eine Marina betreibt, um sich das bestätigen zu lassen. Von dort bekommt er den Namen und die Adresse der Firma. Zurück am Hafen ist inzwischen das Wassertaxi da und der Skipper sucht denjenigen, der es angefunkt hat. Ich erzähle wieder meine Gasgeschichte. Der Skipper fragt gleich einmal den nächsten Segler, der gerade mit seinem Auto eintrifft. Ich sehe fragende Gesichter. Um wenigstens die Auskunft zu der Firma im Nachbarort verifizieren, hat mein Fahrer jetzt irgendwie die Telefonnummer herausgefunden und ruft an. Tatsache, es wird bestätigt, dass sie Propangasflaschen füllen. Ich bedanke mich bei allen, werde aber auf meine zweite Flasche zurückgreifen. Sonst wären das 60$ fürs Taxi und für 10$ Gas. Kein Verhältnis.

Jetzt muss aber erst die leere Flasche zurück aufs Schiff, da ich damit nicht in den Supermarkt will. Allgemeine Heiterkeit bei allen Beteiligten. Wenn ich den Sheriff, die Polizei, den FBI und die CIA kennenlernen möchte, sollte ich das probieren. Der Skipper des Wassertaxis fährt die Flasche so lange hin und her, bis ich vom Einkauf zu8rück bin und wieder aufs Schiff will.

Wieder ein Beispiel für die große Hilfsbereitschaft der Amis. Als ich das meinem Fahrer sage, meint der nur, wir sind doch alle Segler.

Für den Törn nach New York ist die Passage von Hell Gate, der engsten Stelle im East River, wo der Harlem River dazu kommt, genau zu kalkulieren. Hier steht ein Strom mit bis zu fünf Knoten. Da sollte man zur richtigen Zeit an der richtigen Stelle sein. Es handelt sich ja nicht wirklich um Flüsse, sondern um eine Verbindung des Atlantik westlich von New York und des Hudson in den Long Island Sound. Beide Seiten aber mit unterschiedlicher Tide, was zu den heftigen Strömungen führt. Zu meinem Glück sind die Zeiten im Moment so, dass ich bequem nach dem Frühstück aufbrechen kann. Je näher ich Hell Gate komme, umso mehr ist Bewegung im Wasser. Die Fahrwassertonnen zerren ordentlich an ihren Ketten. Mit 12 Knoten über Grund werde ich durchgespült. In der Engstelle, parallel zu Roosevelt Island, steht dann auch noch der Wind gegen den Strom. Erst in der Mündung in den Hudson, an der Südspitze Manhattans, am Battery Park, beruhigt sich das Wasser.

Obwohl ich sicher schon fast alles beim ersten in New York Besuch fotografiert hatte, liegt die Kamera wieder im Cockpit und ich reiße sie, ob der Fülle der Motive, immer wieder hoch.

Eigentlich wollte ich ja an der Freiheitstatue ankern. Nach dem Ritt und der Menge des Schiffsverkehrs auf dem Hudson, beschließe ich doch wieder die Liberty Landing Marina anzulaufen. Hilfsargumente gegen den teuren Liegeplatz sind die Verfügbarkeit von Diesel und Wasser. Außerdem gibt es in der Marina Gas und die können mir was schweißen. Trotzdem ich ohne Anmeldung komme, schafft man es, mir einen Platz für zwei Tage frei zu machen. Auch hier wieder die fast schon sprichwörtliche Hilfsbereitschaft oder auch Kundenorientierung. Das nachgefragte Handbuch der Bahamas ist im Laden ausverkauft. Schon wird herumtelefoniert. Mein nächster geplanter Stopp in einer Marina soll in Norfolk sein. Dort gibt es eine Tochtermarina. Schlussendlich ist da ein Platz für mich reserviert und das Buch wird dorthin geliefert. Zusätzlich gibt es noch 15% Rabatt vor Ort.

 Am zweiten Tag gebe ich mir noch einmal New York satt mit dem Times Square. Das Haus vor dem John Lennon erschossen wurde ist von außen eher unspektakulär. Das Guggenheim hatte ich mir größer vorgestellt. In der U-Bahn kommt erst ein Bettler mit einem Pappschild „Homeless“ durch. Er scheint von einer schweren Krankheit gebeutelt zu sein und schleppt sich durch den Waggon. Ist aber ausgesprochen gut genährt und hat auch sonst keine homeless-typischen Tüten dabei. Ich beobachte ihn nach dem Aussteigen. Er strafft sich merklich. Das Pappschild verschwindet unter der Jacke und er schreitet munter voran und die Treppe hinauf.

 Der nächste Kandidat erhebt in der Mitte des Waggons laut seine Stimme über die Fahrgeräusche und beginnt zu predigen. Alle sollten die Bibel lesen, Sie gibt Antworten auf alle Fragen. Im Übrigen ist der Koran nur ein weiteres Buch der Bibel. Der Versuch eine Kollekte bleibt aus. Ich überlege das Geschäftsmodell beider Auftritte zusammen. Könnte klappen. Der Heilige Geist und Spontanheilungen in der U-Bahn. Immer wiederholbar. Könnte etwas einspielen.

Mit ablaufendem Wasser geht es tags drauf weiter, Richtung Süden. Am geplanten Ankerplatz hinter Sandy Hook bin ich so schnell und so gut drauf, dass ich die Nachtfahrt gleich dranhänge. Tidenstrom und Wind spielen mit und so ziehe ich mit 7 bis 8 Knoten parallel zur Küste durch die Nacht. Im glutroten Sonnenuntergang sitze ich im Cockpit und löffele meine wärmende Suppe, als es einen lauten Platsch tut. Ich sehe gerade noch, wie keine 200 Meter entfernt ein Wal wieder im Wasser verschwindet. Jetzt erkenne ich auch mehrere Blasfontänen und immer wieder auftauchende Rücken. Buckelwale. Wohl auch Snow Birds. Bei der zweiten Schale Suppe schnauft es in meinem Rücken und noch dichter am Schiff. Ich bin mitten drin und bekomme einigen Respekt. Das alles auf knapp 18 Meter Wassertiefe.

Ich bin wieder so schnell, dass ich noch im Dunkeln den nächsten geplanten Ankerplatz, im Hafen von Cape May, erreiche. Das macht nun gar keinen Sinn, sich da nachts rein zu hangeln. Also wieder weiter, die Delaware Bucht hoch. Auch hier läuft der Tidenstrom wieder mit und beschert mir eine schnelle Fahrt. Im Ergebnis stehe ich am Mittag schon am Delaware Kanal. Den nehme ich dann auch noch mit. Im Kanal gibt es keine Geschwindigkeitsbegrenzung. Im Führer heißt es nur, dass man für die Schäden durch Wellen verantwortlich gemacht werden kann. Das nutzen an diesem Wochenende wohl alle Speedbootbesitzer, um ihre röhrenden Kisten mal so richtig aufzudrehen. Es geht teilweise zu, wie bei einem Formel 1 Rennen. Am westlichen Kanalende sehen sich dann alle wieder, denn hier ist die einzige Tankstelle. Motorbootstau und der Kampf um die Plätze am Zapfhahn.

Nach 210 Meilen in 30 Stunden fällt der Anker im Sassafras River in der Chesapeake Bay. Vier Törnabschnitte in einem Ritt. Nicht schlecht. Da hier am Dienstag ein Tief durchziehen soll, parke ich ein paar Tage. Wartung und Pflege an Mensch und Material. Mit dem Sonntagabend verschwinden auch die Motorboote und Beschaulichkeit zieht ein. Die Wildgänse sind schon da. Ein bisschen wie ein stiller Ankerplatz im Bodden im Herbst.

Die Regenschauer sind weg und die nächsten Tage bringen tolles Segeln bei knallblauem Himmel und frischer Brise. Immer schön auf der Kreuz die Chesapeake Bucht hinab, von Bucht zu Bucht. Jeden Tag heimliche Regatta gegen die wenigen Mitstreiter. Bei Annapolis überspannen die beiden einzigen Brücken die Chesapeake Bay. Es rauscht der Verkehr gleich doppelt, während ich passiere.

Das nächste Regentief ist im Anzug und ich suche mir eine geschützte Bucht in Solomons Island. Jede Menge kleine Buchten und Flüsse schneiden ins Land. Geschützte Plätze vor zu viel Wind. An Land stehen die Häuser dicht an dicht. Bei uns wären das Villen. Am Abend geht, wie auf Kommando, überall Licht an, obwohl niemand zu sehen ist. Schaltuhren? An den Ufern private Anleger mit Booten davor. Hier kann man mit dem Dinghi nicht anlegen, ohne gleich Hausfriedenbruch zu begehen. Ich nehme wegen der Rifle Assoziation und ihrem Einfluss davon Abstand. In meinem stillen Weiher ankert noch ein Boot. Am Morgen werde ich angerufen und ich soll mich mal über Funk melden. Der Nachbar will mir mitteilen, dass es mit dem Schiffnamen etwas anfangen kann. Er war mal auf einem Konzert von Pete Seeger, den kenn ich doch, oder? Dass muss im letzten Jahrhundert gewesen sein. Jedenfalls hat der dort ein Lied mit diesem Titel gesungen. Ich erzähle kurz die Geschichte des Namens, des Schiffes und wohin ich will. Ist natürlich alles „awesome“. Ich ziehe meinen Anker aus dem Mud und werde von einem Steg beobachtet. Von dort schallt in ungeübten Deutsch: „Eine gute Reise.“ Schönes Wohnen in dieser Ecke. Der Waterway-Führer weist aber eindringlich darauf hin, hier das Mückenspray und die Moskitonetze dabei zu haben. Zum Glück nicht um diese Jahreszeit.

Die nächste Bucht steht voller Ferienhäuser. Die Stege davor sind aber alle schon verwaist. Dafür sind nach langer Zeit die Pelikane wieder in der Luft und stürzen sich kopfüber auf die Fische. Ihre Anwesenheit ist ein Zeichen, dass ich langsam südlicher rutsche. Auf dem Weg in die letzte Ankerbucht vor Norfolk tauchen auch wieder Delfine auf. Als ich am Ankerplatz einlaufe, bin ich das dritte Boot. Bis Sonnenuntergang liegen hier außer mir 16 weitere Schiffe. Die Snow Birds sammeln sich vor der Einfahrt in den Inter Coastal Waterway in Norfolk. Auf der letzten Etappe weht es anfangs heftig aus Süd. Ich bin der einzige, der auf die Kreuz geht. Die Kats motoren gegenan. Trotz der Kreuzschläge, hänge ich sie ab. Auch in der Marina sammelt es sich. Alle Richtung Süd. Für mich geht es Morgen außen, um Cap Hatteras herum.