Der Flug von Charleston nach New Orleans ging über Atlanta, dem größten Flughafen der Welt. Da wir nur mit Delta flogen, waren die ansonsten langen Wege beim Umsteigen kein Problem. Es spielte sich alles im gleichen Terminal ab. Neu war, dass es für den Anschlussflug nicht schon mit der Bordkarte einen festen Sitzplatz gab. Den musste man sich an den aufgehängten Monitoren selbst herauslesen.

 Zusätzlich gab es für das An-Bord-Gehen mehr als die bekannten Kategorien, von erster bis Holzklasse. Hier, neben der ersten Klasse, Mütter mit Kleinkindern und Behinderte, Oftflieger, Leute mit Piority Boarding und noch vier weitere Boarding Zonen für die Normalos. Ganz vorne wurden aber immer erst aktives Militärpersonal und die Veteranen aufgerufen. Damit das System nun auch jeder Begriff, gab es per lokaler Ansage im Abfertigungsbereich einen regelrechten Grundkurs zum Besteigen von Flugzeugen, der mehrmals wiederholt wurde, da es mit der Lernzielkontrolle etwas haperte.

Im Flieger war dann ein weiteres amerikanisches Phänomen zu beobachten. Nicht, dass das angeschleppte Handgepäck im Gang und zwischen den Sitzen klemmt, nein, es war ein Teil der Leute. So üppig und ausladend, dass es bei einigen nur langsam voran ging. Schräg vor mir hatte ein schmaler Mann auf dem Fensterplatz Platz genommen. Es erschien ein weiter Mann mit geschätzt über 150kg und zwang sich auf den Gangplatz. Das dabei der Sitz nicht abbrach ist wohl nur auf ausgiebige Crashtests zur Flugsicherheit zurückzuführen. Als ich noch dachte, der hat wohl den Mittelplatz mitgekauft, verdunkelte es sich erneut im Gang und es erschien ein Typ Schwergewichtsheber und beanspruchte den Mittelsitz. Erneut musste der Außensitz seine Belastbarkeit unter Beweis stellen, währen der Typ am Fenster mit großen Augen sah, was auf ihn zukam und schon langsam Atemnot bekam. Eine gute Stunde dauerte der Flug und ich hörte den Fensterplatz laut durchatmen, nachdem seine Bankreihe zum Ausstieg geräumt war.

Das Hotel lag direkt am Beginn des French Quartiers in der Royal Street. Vom Zimmer, im 11. Stock, gab es sogar einen Blick auf den Mississippi. Die erste abendlich Runde durch die Bourbon und Royal Street und die verbindenden Nebenstraßen bestätigte gleich das Klischee aus bekannten Bildern. An jeder Ecke Musik. Entweder aus den Lokalen mit ihren Bühnen oder auf den Straßen von einzelnen Musikern bis hin zu mehrköpfigen Bands. Aber nicht nur Jazz, sondern überwiegend Rock und Blues bis zu Pop Stücken. Je später der Abend, desto mehr Feierwillige schieben sich durch die Bourbon Street. Getränkebecher oder „Handgranaten“, lange Gläser mit Mixgetränken, in der Hand, wechseln sie von Kneipe zu Kneipe. Auf der Straße stehen die Koberer und versuchen die Leute in die Läden hereinzuschwatzen. Die Menge Mensch ist der krasse Gegensatz zu den zurückliegenden ruhigen Ankerplätzen.

An krassen Gegensätzen ist New Orleans insgesamt reich. Auf der einen Seite die Masse der feierwütigen Touristen. Auf der anderen Seite, das sichtbare Elend der Gestrandeten, die den Touristen ihre Bettelschilder entgegen halten und nachts in den Hauseingängen schlafen. Über dem French Quartier liegt ein dauerhafter Hauch von Pisse, während im Garden Distrikt, nur wenig entfernt, sich die „grüne“ Luft deutlich besser atmen lässt. Aber auch unter den Nicht Touristen gibt es Gegensätze. Privilegiert sind dabei die, die über Musik, Akrobatik oder Malerei versuchen an die Tips, meist ein Dollar, der Touristen zu kommen. Wobei wohl Handlesen, Wahrsagen und Karten legen hoch im Kurs steht und noch einmal eine besondere Kategorie darstellt. Auch Poeten sind zu mieten. Sie sitzen mit der Schreibmaschine am Klapptisch auf der Straße und warten auf Kunden. Den Anderen bleibt nur ihr Bettelschild. „Help me to get drunk“, ist dabei wohl die ehrlichste Aussage.

Tagsüber schieben sich die Touristen dann rund um das French Quartier und den French Market durch die einschlägigen Geschäfte. An den Schlangen vor einigen Lokalen ist abzulesen, wer in einem Reisführer eine Empfehlung hat. Wir bekamen an einer Straßenbahnhaltestelle von einer mit uns Wartenden Freikarten für eine Burleske Show im „House of the blues“ geschenkt. Abends in der Schlange gab es eine kleine Hürde. Die Reihe wurde abgeschritten und ein Jeder nach einer Personal ID befragt, die er vorzeigen musste. Diejenigen bekamen ein Armband. Elke hatte keinen Ausweis dabei und blieb ohne Band. Auf meine Nachfrage, gab es die Auskunft, dass sie zwar in die Show konnte (ausdrücklich ab 21 Jahren), aber keinen Alkohol kaufen (konsumieren?) kann. Auch meine Versicherung, dass sie, bei aller Wertschätzung, schon 21 sei, wurde abgelehnt. Die deutlich älteren Damen vor uns schüttelten den Kopf, „That‘s obvious.“ Innen war das dann kein Problem, da ich den doppelten Gin Tonic besorgte und sich kein Mensch um ein Trinkalter scherte. Leider war, neben ein paar künstlichen Brüsten, der Jongleur das Beste an der Show, sodass wir zur Halbzeit schon wieder draußen waren.

Karfreitag war in dem touristischen Wahnsinn der Höhepunkt. Schon am Nachmittag strömte es durch die Bourbon Street. Die angebotenen Happy Hours wurden reichlich genutzt. Mit den entsprechenden Folgen. Wacker dagegen hielt auf den öffentlichen Plätzen der versprengte Teil von Predigern, kirchlichen Chören und Alleinstreitern mit dem Kreuz, incl. elektronischer Laufschrift der Sünden. Die örtliche katholische Kirche hatte eine Jesusfigur im Kirchgarten so angestrahlt, dass ihr Abbild apokalyptisch auf der Kirchenwand erschien, mit Blick auf die Bourbon Street.

Je später der Abend, desto mehr probte das Volk den Untergang Roms, so schien es. Der Lärm schwoll noch weiter an, die Bekleidung wurde zunehmend freizügiger, die Balkons barsten vor Partygängern. Musik schien für alles nur den Anlass zu geben. Auf den Tanzflächen hatten die Frauen das sichtlich größere Vergnügen. Jedenfalls war die Zahl tanzender Frauen signifikant höher, als die der Männer. Die männliche Bevölkerung gruppierte sich eher um die Tresen und hielt sich an den Gläsern fest. Über allem wachte die Polizei mit einer hohen Präsenz.

Zur Nacht fragte ich mich, ob denn das, das New Orleans sein soll, dass für seine Musikszene und den Jazz im Besonderen, einen so hohen Ruf genießt.

Touristische Alternativen gibt es natürlich auch. Mit der Straßenbahn in den Garden District. Mit Dahlem vergleichbar, aber der Villenstil hat natürlich amerikanische Dimensionen. An den Bäumen ist der Frühling zu sehen und die Luft ist ungleich  besser, als im French Quartier. Zum Essen in eins der netten Lokale im Lower Garden District. Hier Essen auch die Einheimischen, entfernt vom Touristrom und es gibt nicht nur „Po-Boys“ (Poor-Boys). Baguette, mit Salat und Fleisch oder Meeresfrüchten belegt.

Zum Lake Pontchartrain, im Nordender Stadt. Der See, der beim Hurrikan Katrina in die tiefer gelegenen Teile der Stadt gelaufen ist, bis mit max. 7,80 Metern das Niveau mit dem See ausgeglichen war. Die Fahrt auf dem Mississippi. Nicht mit den Tourischaufelraddampfer, sondern für einen Dollar mit der Fähre. Ein Besuch im „Nationalpark Jazz“ in der alten Münze. Neben dem Jazzmuseum gibt es, bei freiem Eintritt, Jazzkonzerte in unterschiedlichen Besetzungen. Hier spielen die Park Ranger in Uniform Saxophon. Fragen aus dem Publikum zu Musik und Künstlern sind ausdrücklich erwünscht und werden ausführlich beantwortet. Wer will kann seine Reisekasse in der Spielbank aufbessern. Die richtigen Zockerrunden beim Poker finden an Tischen hinter Glaswänden statt. Getränke an allen Automaten und Tischen frei. An den Einarmigen Banditen gibt es sogar einen „Durst Knopf“.

Es reicht aber auch, einfach vor der Bischofskirche in der Sonne zu sitzen, den wechselnden Musikgruppen zu lauschen und die vorbeiströmenden Leute zu beobachten. Zu Ostern hatten sich einige richtig herausgeputzt. Nach dem zweiten Tag sieht man auch die Strukturen im Hintergrund. Man kennt sich untereinander. Die Plätze für die Musiker sind vergeben und werden geteilt. Niemand versucht den anderen mit Lautstärke zu übertönen. Die Plätze am Zaun des zentralen Parks sind für Maler mit ihren Bildern reserviert. Die Tische mit den Wahrsagern platzieren sich davor. Man toleriert sich. Der Fahrradkurier bringt die vorher bestellten Mittagessen vorbei. Für die ganz Abgerissenen verteilt wohl eine Sozialküche die warmen Mahlzeiten, die dann im Park gegessen werden.

Schlussendlich ist der Typ, der auch seit Stunden auf der gleichen Bank sitzt, der örtliche Dealer. Die Vorbeikommenden begrüßen ihn nicht nur alle per Handschlag, sondern dabei wechselt ein Zehner den Besitzer, während mit der anderen Hand ein Plastikbeutelchen mit Gras oder Hasch zurückgeht.

Bezeichnend für Amerika und sein Sozial- und Krankensystem erscheint mir die große Abteilung zur Zahnreparatur im Walgreens zu sein. Wie die Fachfrau aus Berlin bestätigte, werden hier reichlich Utensilien in einer Drogerie frei angeboten, die bei uns unter das Arzneimittel- und Medizinpräparategesetz fallen. Betäubungsmittel, Schmerzmittel, Reparaturmaterial für Kronen und Brücken, Abgussmasse für Zahnprotesen, Cortison Salbe, etc.. Ein ganzes Regal nur mit Schlafmitteln.

Spät, aber wenigstens nicht zu spät für den letzten Abend, haben wir nach einem Hinweis bei einem Konzert im „Nationalpark Jazz“ die Clubs in der Frenchman Street entdeckt. Auf dem kurzen Stück Straße waren sie, die Musikclubs nach meinem Geschmack und der Vorstellung von New Orleans. Natürlich auch von Touristen besucht, aber bei weitem nicht so partywütig und alkoholgeschwängert, wie in der Bourbon Street. Sehr angenehm, mit guter Musik von Jazz bis Rock.

Bezeichnend für die Gegensätze in New Orleans und das Lebens in ihr, scheint mir das Louisiana State Museum zu sein. Im Erdgeschoss eine interessante Ausstellung zum Hurrikan Katrina. Seine Opfer, seine Schäden, die Fehler im Katstrophenmanagement, die Fehler im Deichbau, die Lehren daraus und warum man trotzdem hier bleibt. Nebenbei eine Totenmaske von Napoleon. Im ersten Stock eine Ausstellung zum Madi Gra. Mit üppigen Kostümen, Schmuck und Musik.

Auf den ersten Blick sicher ein Gegensatz, aber auch Sinnbild, für das Leben auf Abruf. Das Ganze symbolisiert durch den vom Hurrikan zerstörten Flügel aus den Haus von Fats Domino vor einer Figur aus dem Madi Gra. Der nächste Hurrikan kommt bestimmt.