Viel Sonne und wenig  Wind bestimmt die erste Halbzeit des Törns über den Atlantik. Wir fahren ein Dreiwachsystem. Drei Stunden in der Nacht, fünf am Tag. Ich allein, die Anderen zu zweit. Gerechnet wird in UTC, sodass sich in den Wachen die Hell- und Dunkelstunden auf dem Weg nach Westen verschieben. Aber bereits kurz nach Sonnenaufgang hat die Sonne schon viel Kraft und der Sonnenschutz bekommt eine große Bedeutung. Da es mit den Biminis weder in Polen, noch auf den Kanaren geklappt hat, wird aus den auf Lanzarote bei Ikea gekauften Tuchbahnen improvisiert. Schön ist anderes, aber das Ergebnis zählt: Schatten.

Im Schiff bleibt es aber weiter so warm, dass die Freiwache unter Deck kaum schlafen kann. Tags 31 Grad, nachts 25 Grad. Alles aus Baumwolle ist feucht und klamm.

In einer absoluten Schwachwindphase ist sogar Zeit für eine Bademannschaft. Schwimmen über 4000 Meter Wasser.

Lesen und Kochen wird zum Mittelpunkt der Bordroutine. Dazu gehört vor allem die Sorge und Pflege der frischen Lebensmittel. Essen nach „Verfallsdatum“.

Die zweite Aktion, die alle aufschreckt, ist das Schnarrgeräusch der Angel nach einem Biss. Nachdem drei Bisse wegen unserer unkoordinierten Hektik verloren gingen, gibt es jetzt auch dafür einen Manöverablauf. Es bleibt aber dabei, schlägt die Angel an, sind die Bücher weg und die Freiwache stürzt an Deck. Je weiter wir nach Westen kommen, desto seltener werden jedoch die Situationen.

Der einmal am Tag laufende Generator für die Batterien und die Kühlung bleibt plötzlich von selbst stehen. Den Keilriemen hat es geschreddert. Die Riemenscheibe auf der Wasserpumpe ist lose. Richten und den Ersatzkeilriemen rauf.

Der Hebel der Hydraulikachterstagpumpe steckt dann in einer Hose. Da er da nicht hingehört, hat wohl die Pumpe ein Problem. Ein Bolzen ist herausgerutscht, weil ein Minisprengring weg ist. Das gesamte Achterstag ist lose, aber nicht ab. Hydrauliköl läuft aus, Die Pumpe bleibt drucklos. Erst einmal das  Achterstag mit einer Talje über Winschen sichern und unter Druck nehmen. Nachdem der Hydraulikzylinder ausgebaut ist wird er wieder mit Öl befüllt. Der Blick nach achtern ist schon seltsam, so ohne Achterstagspanner zu segeln. Solche Reparaturen sind auch mit der täglichen Inspektionsrunde über das Schiff auf der Suche nach potentiellen Schad- und Scheuerstellen nicht zu verhindern.

Unsere Etmale steigen mit dem zunehmend kontinuierlich aus ENE wehenden Wind von 88 Seemeilen, mit Schnitt 3,5 Knoten bis auf 165 Seemeilen mit 7 Knoten.  Das Wetter ist diesig feucht, bewölkt mit Regenschauern. Leider zu wenig für eine Süßwasserdusche. Gleichzeitig ist der erste Wassertank mit 195 Litern schon nach fünf Tagen leer. Eindeutig zu viel Wasserverbrauch. Die ermahnenden Worte fruchten und das elektrische Pumpensystem wird noch nicht abgestellt.

Ein Frachter und ein Segler kommen in Sicht, reagieren aber nicht auf die Ansprache per Funk.

Acht Tage sind herum und wegen meiner könnte jetzt Schluss sein.

Ist ein technisches Problem gelöst, wartet schon das nächste.

 Nächtliches rufen, das Großsegel ist von oben gekommen. Erst einmal alles bergen und sichern. Wahrscheinlich ist das Fall im Top durchgescheuert. Natürlich wieder in meiner Freiwache. Mein Schlafdefizit wird größer. Am Morgen klärt es sich. Nicht das Fall ist durchgescheuert, sondern ein schlecht gemachter Spleiß des Vorbesitzers ist aufgegangen. Mit der Dirk wird das Fall wieder in den Mast gezogen und ein Spifall als Dirk missbraucht. Als Ausgleich für die Mühen gelingen die gebackenen Brote immer besser.

Seit Tagen steht die ausgebaumte Genua und die Windfahnenanlage steuert. Keiner fasst das Ruder an. Mit dem zehnten Tag auf See ist ein Islandpullover mit Ankermotiven fertig gestrickt und das Cockpit kann von den Wollflusen befreit werden. Quasi seit Beginn des Törns hat sich die Doppelkopfrunde gefunden und spielt mit wachsender Begeisterung, bis der Sonnenuntergang die Karten kaum noch erkennen lässt. In der Runde beginnt auch die Crewphantasie zu blühen. Was, wenn die Segelei hier nicht real ist. Wenn sie nicht mehr aufhört, es kein Ende gibt. Ist der Raum, in dem wir uns bewegen Teil einer größeren Inszenierung a‘ la Truman-Show? Müssen mit unserer Entscheidung, aus zeitlichen Gründen, nicht Tobago, sondern Martinique anzulaufen, Kulissen neu gemalt und Kameras neu eingerichtet werden?

Es ist heiß und Trägheit macht sich breit. Eine Ansage zur Aufrechterhaltung von Sicherheit, Ordnung und Sauberkeit ist fällig.

Eine Halse der ausgebaumten Genua steht an. Im Manöver fällt der Spibaum krachend aufs Deck. Am Mastbeschlag des Spibaums sind alle Poppnieten abgeschoren. Das hat wohl über Tage zu viel gearbeitet. Eine Baustelle für Morgen. Dann aufbohren und die Nieten durch Bolzen ersetzen und mit Tape sichern. So kann die Genua wieder ausgebaumt werden.

Die Entfernung zum Ziel rutscht unter die 1000 Seemeilenmarke.

An der Angel verlieren wir wieder eine Goldmakrele. Die hatte fast schon ins Cockpit geschaut und es sich dann wohl doch anderes überlegt. Unmengen von fliegenden Fischen fliehen rechts und links vor dem Schiff. Aber wohl nicht nur vor uns, sondern auch vor ihren Jägern, die wir gern an der Angel hätten. Einige müssen wir Morgens vom Deck sammeln. Ein Akrobat schafft es sogar durch die offene Decksluke bis in meine Koje und zappelt dort schuppend herum. Der Wasserverbrauch bleibt okay, aber der letzte Tank wird angebrochen. Ein neues Rekordetmal mit 178 Seemeilen, d.h. 7,6 Knoten Schnitt wird gesegelt und gleich noch einmal bestätigt.

250 Seemeilen zum Ziel. Ich denke noch, dass wir ohne größere Schäden davongekommen sind, als es unter Deck laut kracht. Gerade eben war mal wieder, bei 5 Bft., eine größere Welle quer durch die Windwellen von achtern gelaufen. Das hat gereicht, um den Koch des Tages vom Herd auf der Stb-. Seite durch den Salon in die geschlossen Klotür auf der Bb.-Seite zu katapultieren. Der Kopf ist heil, die Klotür komplett aus den Angeln gerissen und in der Nasszelle. Mal wieder provisorisch mit Bordmittel repariert.

Aus diesen und weiteren kleinen Anzeichen lese ich, dass nach 15Tagen Non-Stop-Segeln, Schiff, Crew und ich eine Auszeit brauchen.

Nachdem uns schon einigen Tagen Seevögel begleiten tauchen die ersten  Konturen der Insel am Horizont auf. Wir umrunden die Südspitze von Martinique und steuern mit dem letzten Büchsenlicht Le Marin an. Da auf unsere Funksprüche keine Antwort kommt, schlängeln wir uns durch die Menge der Anker- und Mooringlieger bis an die Tankstelle und machen fest.

Nach 15 Tagen und 2198 Seemeilen ist der Törn zu Ende.

Sekt fürs Ankommen, ein Glas Rum und ein Bounty für die Karibik.