Auf diesem Rückflug zum Schiff war das immer wieder kehrende Problem extrem. Mit nur einer Unterhose und ein Paar Sandalen wog die Tasche knapp 28 kg. Der Rest waren Ersatzteile und reparierte Geräte. Dabei hatte ich schon wieder ausgepackt. Das musste jedenfalls alles mit.

 Man packe die schwersten Sachen in den Rucksack als Handgepäck. Am Schalter, trotz des Gewichts auf dem Rücken, entspannt lächeln. Nach dem Einchecken erklären, dass in der Tasche auch technische Geräte sind und man daher die Tasche beim Sperrgepäck abgeben wird. Dort wird sie gleich durchleuchtet und man wird wegen etwaiger Nachfragen nicht ausgerufen. Der Vorschlag trifft auf Verständnis. Der Sperrgepäckschalter ist abseits der normalen Schalter. Wundersamerweise wandern die schweren Sachen auf dem Weg dorthin wieder in die Tasche. Beim Durchleuchten wird dann immer nach dem Ölfilter gefragt. Der bildet wohl ein eindeutiges Bild ab, kann aber nicht durchleuchtet werden. Blieben im Handgepäck die mehrere Kilo schweren Zinkanoden, die gleich drei Sicherheitsleute zusammenlaufen ließen. Die Erläuterung zu den Teilen war dann ein kleiner Volkshochschulkurs zum Thema „Das Periodensystem der Elemente und galvanischer Schutz auf Segelbooten“. Trotzdem musste ich noch zum Sprengstofftest.

Das Schiff schwamm noch an der Mooring und war trocken. Die Dichtung aus selbst vulkanisierendem Tape an der Stopfbuchse hatte nicht nur die drei Tage Test vor Ort gehalten, sondern auch die drei Wochen Abwesenheit. Allerdings hatten die im ICW noch so zahlreich beobachteten Ospreys, Fischadler, sich hier die erste Saling und den Random der Radaranlage als Rast- und Futterplatz ausgesucht. Das gesamte Deck war dick vollgeschissen. Fischreste lagen herum. Äste, Stroh und Seegras war bereits zum Nestbau herangetragen worden. Soweit war es aber noch nicht gekommen. Die Witterung hatte alles ziemlich eingebrannt. Trotz eines entsprechenden Mittels aus dem einschlägigen Fachgeschäft, war auch nach dem dritten Bürstengang noch nicht alles beseitigt. Die Zeit muss es jetzt bringen. Alles unter den Augen der immer wieder anfliegenden Vögel. Schlussendlich war es wohl mein Fehler, das möglich gemacht zu haben. Beim letzten Mal gab es das Problem hier nicht. Da hatte ich aber auch die Fallen so abgespannt, dass sie die Salinge kreuzten und so zu wenig Platz für die Flügelspannweite der Vögel blieb. Das hatte ich jetzt anders gemacht und damit den Anflug frei gegeben. Wieder ein bisschen schlauer.

Ein Versäumnis musste ich noch Nachholen. Vor der Abreise war es mir nicht möglich gewesen einen Report bei der Home and Border Protection zu machen. Unter der Telefonnummer war niemand zu erreichen. Jetzt versuchte ich es erneut. Beim zweiten Versuch meldete sich der Officer. Die Fragerunde war bis zu dem Punkt entspannt, als ich ihm mittteilen musste, dass ich gerade mit dem Flieger gelandet war, das Schiff aber hier schon drei Wochen liegt. Aus dem heftigen Schnaufen in der Leitung schloss ich, dass er kurz vor einer Ohnmacht stand. „Hold on“, weg war er. Nach einer Minute Schweigens und der Sammlung war er wieder dran. Ich versuchte das Telefonproblem zu erklären. Völlig unwesentlich. Ich hätte es immer und immer wieder versuchen müssen. „Auch aus Deutschland?“ Die Frage blieb unbeantwortet. Es machte keinen Sinn, mit seiner Obrigkeit zu diskutieren oder gar auf das mangelhafte System zu verweisen. Das Ende war die Androhung, mir das Crusing Permit zu entziehen. Alle weiteren Sätze quittierte ich nur noch mit einem wiederholten „Yes, Sir.“

Vor dem Start nach Belfast stand noch der Einkauf. Teil der gemieteten Mooring ist hier das Water Taxi System. Ein Anruf per Funk und man wird vom Schiff geholt oder wieder zurückgebracht. Ein Anleger befindet sich fast vor dem Einkaufszentrum. Im Supermarkt fiel mir wieder der hohe Beschäftigungsgrad älterer Leute auf. Das was bei uns Schüler und Studenten machen, Regale einräumen und an der Kasse sitzen, wird hier von Leuten im Rentenalter erledigt. An meiner Kasse war es dann extrem. Die alte Dame hatte völlig vergichtete Hände. Sie konnte mit den „Krallen“ kaum die Ware bewegen. Die Zahnreihen bestanden nur noch aus zwei Eckzahnstümpfen. Ein Bild des Jammers. Wie sagt die Zahntechnikerin: „Der Zustand der Zähne der Bürger spiegelt den sozialen Zustand des Staates wieder.“

Das Fortkommen durch den Long Island Sound wird in dieser Jahreszeit durch den Nebel bestimmt. War der erste Segeltag noch voller Sonnenschein und ließ das Segelerherz höherschlagen, so war am nächsten Morgen kaum die Schiffsspitze zu sehen. Alles feucht und undurchdringlich milchig weiß. Fetter Nebel. Gegen Mittag riss es etwas auf und die Landkonturen am Ankerplatz wurden sichtbar. Die Chance nutzen und los. Als ich jedoch den Leuchtturm auf der Außenmole erst sah, als ich schon fast an der Eingangstür anlegen konnte, war klar, so geht das nicht. Die Molen waren nur auf wenige Meter schemenhaft zu sehen und einen Blick nach draußen gab es sowieso nicht. Da war alles noch dicker. Zurück zum Ankerplatz. Der war jetzt ohne elektronischen Kartenplotter auch nicht mehr zu finden. Nebelbänke hatten das Land verschluckt. Erst am nächsten Mittag riss es wieder auf und ich startete erneut in die Suppe. Wild tutend tastete ich mich mit Hilfe des Plotters vorwärts. In der Höhe war die Sonnenscheibe zu sehen und gab Hoffnung, dass sie es heute noch schaffen würde, den Nebel aufzulösen. In der Horizontalen war die Sicht knapp unter 300m, was ich an den angesteuerten Tonnen auf dem Plotter ablesen konnte. Kurz nach drei wurde der Vorhang gelüftet. In Minuten war der Nebel verschwunden und der blaue Himmel strahlte. Das Spiel wiederholte sich im Rhythmus von einem Tag Sonne, ein Tag Nebel. Auf Block Island machte ich wieder in der Ausfahrt kehrt und ging zurück zum Ankerplatz. Über Land hatte sich auch hier der Nebel soweit gehoben, dass Konturen sichtbar waren. Vor der Einfahrt jedoch absolute Waschküche. Neben den Glockentönen der Tonnen waren hier aber auch die dicken Nebelhörner der Berufsschiffe auf dem Weg nach Nantucket zu hören. Da wollte ich nicht dazwischen sein.

Wegen der Höhe der Gezeiten östlich und westlich des Cape Cod Canals, die Ströme bis zu 6 Knoten produzieren, heißt es auch hier, zur rechten Zeit an der rechten Stelle zu sein. Heute jedoch lief der Strom zwar mit mir und ich fuhr mit 9 Knoten über Grund durch den Kanal, allerdings gegen 5 Bft. Ostwind. Im Ergebnis hatte sich an der östlichen Ausfahrt eine erhebliche Welle gegen den Strom aufgebaut. 2m hoch, 5m Abstand. Das Schiff knallt, vom Strom getrieben, nur so in die Wellen. Im Salon flog alles durcheinander. Bloß nicht querschlagen und nicht zu früh abdrehen, sonst landet man am Molenkopf oder Strand. Danach wurde es noch ein flotter Segeltag, der mich gleich bis nach Boston führte. Gleich nach dem Cape Cod Canal begann aber auch wieder der Slalom zwischen den Lobsterkörben. Deren bunte Marker sind zwischen den Wellen mehr oder weniger gut auszumachen. Dazu heißt es im Revierführer: „Halten sie eine Tauchermaske und Schnorchel bereit, vor allem aber einen Neoprenanzug für ein Crewmitglied, damit sie sich im kalten Wasser wieder aus einer eingefangenen Leine am Propp befreien können.“  Habe ich alles an Bord. Nur am einsatzfreudigen Crewmitglied würde es im Ernstfall mangeln. Da müsste der alte Mann dann wohl selber ran. Für den folgenden Morgen war schon wieder Nebel, Dauerregen und Starkwind angesagt. Es musste ein geschützter Ankerplatz in den Boston Islands her. Den fand ich hinter der Insel Hull. Der Wetterbericht hatte nicht zu viel versprochen. Es fand alles statt und es war dazu noch kalt. Ein Basteltag.

Noch an die Tanke und mit vollen Diesel- und Wassertanks nach Gloucester. Um die Jahreszeit liegen zwar schon alle Mooringtonnen, sind aber nur mangelhaft besetzt. Wegen einer Starkwindansage und weiteren Schauern ankere ich fast im Ort. Scheint mir am geschütztesten zu sein, um hier zwei Tage das Wetter abzuwarten. Der Wetterbericht warnt ausdrücklich vor den kalten Wassertemperaturen. Wer über Bord fällt hat nur wenig Chance zu überleben, solange die Wassertemperatur unter 60 Grad Fahrenheit (15 Grad Celsius) liegt. Selbst einfache Handgriffe seien nicht mehr möglich. Atemnot und Herzstillstand werden als Folgen beschrieben. Das galt auch im Inland, wo jetzt schon Kanuten die Seen und Flüsse befahren. Die Wassertemperatur liegt z.Zt. bei 50 Grad Fahrenheit. Auf See galt das auch, hielt sich aber in Grenzen, da ich mit moderatem Wind weiterkann. Über die Isles of Shoals und Portland geht es bis nach Boothbay.

Auf der Suche nach einem Ankerplatz zwischen den Mooringbojen tuckert es beständig hinter mir. Die Coast Guard folgt mit Blaulicht. Ich solle erst einmal ankern, dann kämen sie an Bord. Auf dem großen Schlauchboot sind sechs Mann in voller Montur. Zwei Mann entern Tshotsholoza. Sie würden gern die vorgeschriebenen Sicherheitseinrichtungen überprüfen. Was soll es denn sein? Rettungsweste, Feuerlöscher, Nebelhorn, Seenotsignalmittel, alles wird vorgezeigt, begutachtet und für gut befunden. Jetzt die Toilettenventile. Als erstes klemmt der Inspekteur schon mal in der Klotür fest. Da sollte man sich auch vielleicht nicht mit angelegter Feststoffweste und umgeschnalltem Halfter hineinzwängen („There is a lot of stuff, they order us to ware it”). Mit meiner Hilfe kommt er auch wieder hinaus. Schon mal gut, dass die Ventile geschlossen sind und es einen Fäkalientank gibt. Aber, er will mal nicht so sein, da ich ein ausländisches Schiff bin, der Toilettenhebel muss mit einem Schloss, mindestens aber mit einem Kabelbinder, in der Off-Position fixiert sein. Man darf im Hafen, auch nicht aus Versehen, den Toiletteninhalt nach außen pumpen. Sonst alles gut. Ich bekomme ein Prüfprotokoll, das ein Jahr gültig ist. Bei einer weiteren Kontrolle würde dann nur noch nach der Rettungsweste gefragt werden. Abschließend die Bitte, ob sich denn der Auszubildende zu Trainingszwecken ebenfalls die Klohebel ansehen darf. Aber bitte! Er ist deutlich schlanker und passt, trotz voller Ausrüstung, ohne Probleme durch die Tür. Jetzt aber an Land. Am Dinghy Dock begrüßt mich der Marinachef. Er hat mich aus dem Vorjahr wiedererkannt. Er hat aber auch den Besuch der Coast Guard beobachtet. Allgemeines Gelächter beim Bericht der Klovisite.

Im Ort ist der Frühsommer ausgebrochen. War es bisher bedeckt und kalt, so sind die ersten, wirklichen Schritte an Land seit New York die reine Freude. Die Sonne wärmt, die Bäume sind grün, die Vögel singen. Süßlich schwer liegt der Blütenduft über der Bucht, ab und an überdeckt von würzigem Tannengeruch. Jetzt noch einen Lobster und die Welt ist wirklich rund. Das klappte leider nicht gleich, Der aus dem Vorjahr bekannte Lobster Shack existierte nicht mehr. Die Fischereigenossenschaft nebenan hatte schon geschlossen. Die schicken Restaurants waren keine Alternative. So mussten es für heute Spagetti tun. Am Folgetag mit dem Dinghy wieder zur Fischerei. Hier gab es einen festen Termin, zu dem die bestellten Lobster gekocht wurden. Um 16.30 Uhr wäre alles fertig und zum Abholen bereit. So war es dann auch. Zwei Lobster für 22,50$. Da konnte man nicht meckern. Auf den Bahamas hatte ein Garnelenschwanz beim Fischer schon 20$ gekostet. An Bord rückte ich den Burschen mit der Wasserpumpenzange zu Laibe. Lecker.

Ein Traumsegeltag folgte. Der Himmel blau mit einigen hingepufften Mini-Cumuli. Die mäßige Brise kam zwar aus Süd, war jedoch recht frisch, da das Wasser nur knapp über 10 Grad Celsius hat. Keine Welle. Das Schiff segelte mit über 6 Knoten zum nächsten Wegpunkt. Dösige Verhältnisse, als ein heftiger Schnaufer direkt neben dem Schiff mich zusammenfahren ließ. Neben der Bordwand war ein Wal aufgetaucht. Nicht riesig, aber er hatte wohl die Schiffslänge. Mit zwei, drei weiteren Schnaufern begleitete er mich und entfernte sich dann, bevor er wieder abtaucht. Weiter ging es durch eine Landschaft, die mich stark an die östlichen schwedischen Schären erinnert. Totale Stille, nur leise plätschern die Wellen am Rumpf. Dann bellt es plötzlich. Mitten auf dem Wasser? Ein Seehund schwimmt neben mir und macht sich bemerkbar. Ich kreuze wohl gerade sein Revier. Der Sonnenuntergang am Ankerplatz Rockland rundet den Tag ab.

War ich bisher als Fahrtensegler auf dem Weg hierher fast allein auf dem Wassser, von den Lobsterfischern mal abgesehen, so gibt es hier wieder mehr Segler. Aber alles Einheimische, die unterwegs sind. Vor der Werft in Belfast vorher noch an die städtische Tanke. Der Hafenmeister steht schon auf dem Steg zur Übernahme der leinen bereit. Ich lege rückwärts gegen den Ebbstrom an. Plötzlich fegt eine heftige Böe über den Anleger und drückt die Schiffspitze weg. Darauf hat der Strom wohl gewartet und packt das quer liegende Schiff auch noch. Das Bugstrahlruder schafft es nicht dagegen an. Ich liege halb am Nachbardalben und etwas an der Heckecke des Nachbarn. Schlussendlich hilft nur, mit Vollgas wieder aus der Lücke. Hässlich zieht der Dalben am Schiff entlang. Beim Nachbarn hat sich die Messingscheuerleiste Eck des Hecks gelöst. Nicht dramatisch, aber ärgerlich. Der zweite Anleger klappt ohne Probleme. „Einfach nur Pech gehabt mit der Böe“, meint der Hafenmeister. Er wird den Schiffseigner mal anrufen. Der junge Mann kommt auch nach ein paar Minuten. Da er sich mit Schiffen nicht so auskennt soll die Werft das mal begutachten. Na da will ich ja sowieso hin. Beim Ableger sinniert der Hafenmeister, er vermisse die alten Zeiten. Da hätte man gesagt, das passiert schon mal und mit 100$ wäre der Fall erledigt gewesen. Frei nach Bob Dylan philosophiere ich: „The times they are a-changing.“ Ja, schließt er ab. Aber nicht zum Besseren. In der Werft werde ich schon erwartet. Morgen mit Hochwasser geht das Schiff an Land.