Die gute Nachricht vorweg: Das Schiff habe ich nach vier Wochen vor Anker, ohne Aufsicht, schwimmend und wohlbehalten in Port Washington wieder angetroffen. Die schlechte hinterher: Der Geschädigte aus Belfast ist, mit der erfolgten Schadensabwicklung über die Versicherung, nicht zufrieden und meint nun, mich auf weitere 10.000 $ verklagen zu müssen.

 Glücklicherweise übernimmt die Haftpflichtversicherung auch die Abwehr unberechtigter Schadensforderungen. Aus Sicht der Versicherung ist der Schaden beglichen. Denn, von den geforderten 98.000.- $ sind, nach Besichtigung durch einen eigenen Gutachter, 2.300,- $ gezahlt worden. Das deckt sich auch mit meiner Schadenseinschätzung, die weit von irgendwelchen „substantiellen Schäden und Einnahmeausfällen“ entfernt war. Bisher ist eine Klage an mich noch nicht eingegangen. Lt. Meiner Versicherung, ist der Geschädigte, „ein Mensch mit spezieller Wesensart“. Daher die Bitte an mich, mit ihm nur über den Anwalt der Versicherung zu kommunizieren. Wenn’s hilft …

Freunde sind zufällig in New York und ich habe sie zu einer Fahrt über den East River nach Manhattan eingeladen. Eine Tour, die sowieso anstand. Die Tage bis dahin werden genutzt, um noch nicht erkundete Ecken von New York aufzusuchen; z.B., die Chelsea Kais, noch einmal über den Highlane Park und nach Little Italy in der Bronx. Da fallen mir natürlich diverse Spielfilme um Gangster, schwarzes und italienische Milieu ein. Robert de Niro ist jedenfalls „In den Straßen der Bronx“ nicht mehr zu entdecken. Jedoch scheint es immer noch eine klare Abgrenzung zwischen Little Italy und der „anderen“ amerikanischen Bevölkerung im Stadtteil zu geben. Geht es auf Hin- und Rückweg von und zur U-Bahn-Station noch durch eher durch schwarz beeinflusste Stadteile, tut sich plötzlich in den Straßenzügen Italien auf. Cafés, Restaurants, Pizzerien, eine Markthalle, aber vor allem kleine Einzelhandelsläden mit Käse, Schinken und Wurst und Backstuben. Es duftet bis auf die Straße. Diverse Brote und Schinken wandern in den Rucksack. Latte Macchiato und Tiramisu müssen auch noch sein. Spät, im Dunkeln, geht es mit dem Dinghi zurück aufs Schiff.

Es ist sonnig, aber kalt. Kalt, vor allem nachts. Die Heizung läuft. Auf nach Süden.

Dem Plan wird leider vom Wetter ein Riegel vorgeschoben. Ein Sturmtief zieht von Süd nach Nord die Küste hinauf und bringt Ostwind bis zu Sturmstärke. Damit wird die Ostküste zum Legerwall. Die geschützte, aber teure Liberty Landing Marina, gegenüber von Manhattan, beherbergt das Schiff für zwei Nächte. Zur Kühle kommen nun auch noch Regen und Wind. Wie gut die Entscheidung war, wird auf dem weiteren Weg am nächsten Ankerplatz, Sandy Hook, deutlich. Ein Deutscher Segler ist in der letzten Sturmnacht gestrandet. Das Schiff liegt hoch und trocken hinter der Mole von Atlantic Highlands.

Wir warten hier den nächsten Starkwinddreher auf Süd in der Nacht ab, bevor es mit Westwind weiter Süd gehen soll. Eine weitere, gute Entscheidung, denn der Dreher auf West pustet uns durch die Nacht bis vor Cap May. Vom Plan her sind wir hier viel zu früh in der Nacht. Es weht mit bis zu 7 Bft.. Dagegen in die Delaware Bucht anzugehen macht keinen Sinn. Also weiter; die nächsten 180 Seemeilen, direkt bis nach Norfolk. Damit fällt die Chesapeake Bucht aus. Es ist in der Nacht steinkalt und es wird, auch gefühlt, durch den Starkwind, nicht besser. Dafür rauschen wir mit 8 bis 9 Knoten, manchmal 10 Knoten durch die Nacht. Mit der Ansteuerung von Norfolk lässt der Wind nach. Die letzten Meilen unter Maschine kann auch die Heizung wieder laufen, bis der Anker, nach knapp 300 Seemeilen am Stück, fällt.

Am Morgen ist das Wetter wie ausgewechselt.  T-Shirt und kurze Hose sind angesagt. Unglaublich, Anfang November. Mit viel Sonne starten wir erneut in den Intracoastal Waterway (ICW). Wegen der Brückenhöhen mit 65 ft. war ich noch im Mast und habe alle Antennen und die Beleuchtung abgebaut. Einer meiner Lieblingsarbeitsplätze auf dem Schiff, in knapp 22 Metern Höhe. Der Hafenmeister weiß von keinen größeren Schäden durch die abgelaufene Hurrikansaison. Wir werden sehen…

Die ersten Meilen bis nach Great Bridge verlaufen ohne Probleme. Die Brücken gehen, nach Anfrage per Funk, auf. Unter dem Rest passen wir, weil die höher sind als 65 ft., einfach durch. Wir sind mit den Wildgänsen unterwegs. Sie grasen in größeren Gruppen auf den Wiesen am Ufer oder überholen uns mit geräuschvollem Flügelschlag. Mit uns sind aber auch die „Snow Birds“ unterwegs. In der Regel die reifere Jugend auf Segel- oder Motorbooten in Richtung Süd. Am ersten Engpass des ICW, bei Great Bridge, mit Schleuse und Klappbrücke, geht es zu, wie beim Almabtrieb. Jede Schleusenöffnung spuckt weitere Boote aus. Wir haben uns am Anleger gleich den ersten freien Platz gesichert. Für die Nachzügler wird es ein Problem, einen Liegeplatz zu finden. Dazwischen kurvt noch die Berufsschifffahrt mit Schleppern, Schubverbänden und Baggern. Ein bisschen scheint der ICW doch in der Hurrikan Saison gelitten zu haben, denn es wird größeres Gerät zum Baggern durch die Brücke geschleust.

 

An unserem Anleger sind alle entspannt. Small Talk, wie im Dorf. Woher und wohin. Dazu ein Anwohner, der vor Ort, mit Blick auf den ICW wohnt. Sein Traum, seit Kindheit, mal auf dem ICW zu segeln. Erst kürzlich hat er mitbekommen, dass auf dem ICW mehr motort als gesegelt wird. Trotzdem bleibt er wild entschlossen, ein Segelboot zu kaufen. Wenn nur seine Frau nicht wäre. Die auch tatsächlich anruft, ob er sich denn wieder am Wasser herumtreibe. „Hoffentlich ohne Scheckbuch, um ein Schiff zu kaufen“. Eine gute Stunde netter Unterhaltung mit jeder Menge Fragen zum Schiff und zur Segelerfahrung. Ein sehr erfrischender Zeitgenosse.

Mit langen Armen und dem gepackten Rucksack kehre ich aus dem örtlichen Supermarkt zum Schiff zurück. Lange Arme, weil ich je eine 24-ziger Packungen Bier schleppe. Erstaunte Blicke von den Frauen der Mitlieger; eher bewundernde Blicke der Männer. „It’s German Diesel“, ist meine Auskunft. Alles grinst verstehend.

Mit dem ersten Brückenzug um 08.00 Uhr geht es weiter. Bis auf Teile der Berufsschifffahrt kennen alle Boote nur eine Richtung, Süd. Auf der Strecke werden wir von den Motorbooten überholt. Die meisten sind jedoch so nett, sich per Funk die geplante Passierseite bestätigen zu lassen und die Geschwindigkeit zu drosseln, damit sie einen armen Segler mit ihren Bugwellen nicht allzu sehr durchrütteln. Nach der Passage wird dann wieder richtig Gas gegeben. Aber auch die Amerikanischen Segler fahren deutlich höhere Drehzahlen, als unsereins. Da läuft der Diesel einfach schneller durch. Im ersten geplanten Stopp, Coinjock Marina, ist ob der Menge der Voranmeldungen, kein Platz mehr frei. Gegenüber findet sich noch was, allerdings deutlich abgerockter. Die Frage, ob der letzte Hurrikan oder keine Erben, die Anleger so zugerichtet haben, findet beim Bezahlen im Eigentümer selbst eine Antwort. Der alte Mann hat Kehlschlundkrebs. Daher habe ich ihn am Telefon kaum verstanden. Kurz wird das Ventil im oberen Bauch vorgezeigt, durch das er „bis zu seinem Lebensende seine Nahrung zu sich nehmen wird“. Er hat aber, wie er betont, seine Lebensfreude nicht verloren. Mich gruselt es etwas, mit Blick auf die eigene Gesundheit und das Alter.

Ansonsten sind hier alle Anleger voll mit vitalen „Snow Birds“ in ihren Booten, auf dem Weg nach Süden. Bei einigen wird die Reise abrupt unterbrochen. Gleich zwei Segler waren, an einer, zugegeben, unübersichtlichen, flachen Passage des Alligator Rivers, dicht nebeneinander, aufgelaufen. Evtl. ist einer dem anderen hinterhergefahren. Über Funk waren jedenfalls die weiteren Bemühungen mitzuverfolgen, einen Schlepper vor Ort zu bekommen. Wir selbst konnten den größten Abschnitt der heutigen Etappe segeln. Die Sunde öffnen sich zwar weit, es bleibt aber sehr flach. Gerade unter Segeln sollte man der Rinne folgen. Wer da mit achterlichem Wind aufbrummt, hat wenig Chance allein wieder frei zu kommen. Auch heute schien „Boat U.S.“, der ADAC im ICW, gut beschäftigt zu sein. Jedenfalls sauste immer wieder ein Boot vorbei oder hatte einen Segler im Schlepp. Unser Anker hielt am geplanten Platz, im, lt. Karte, „Soft Ground“, auch in zweiten Versuch nicht. Er ließ sich einfach nicht einfahren. Als Alternative, wieder zwei Meilen zurück, vor Belhave. Dort klappte es dann leidlich. Nur der absoluten Flaute und der elektronischen Ankerwache blieb es geschuldet, dass der Ankerplatz Bestand hatte. Gebranntes Kind …

Heute mit Sonne, aber auffrischendem Wind, weiter über River und Kanäle Richtung Süd. Fluss ist dabei allerdings die falsche Bezeichnung im europäischen Sinn. Es handelt sich teilweise um seengroße Flächen, auf denen der Wind schon eine ordentliche Welle aufbauen kann. Dort, wo diese Flächen dann keine Verbindung haben, stellen Kanäle sie her. Am Ausgang der Verbindung vom Pamlico River zum Bay River sollte unser neuer Ankerplatz sein. Ich hatte dort bereits im Frühjahr geankert. Leider war der Südwind im Laufe des Tages bis auf 5 Bft. aufgefrischt und es stand am avisierten Ankerplatz eine entsprechende Welle. Der war auch noch mit „Soft Ground“ ausgewiesen. Keine beruhigenden Aussichten auf einen haltenden Anker für die Nacht. Also, drei Meilen zurück in den Verbindungskanal, zu einem Fischereianleger. Eine gute Entscheidung. Zwar gar kein Komfort. Dafür aber eine nette Frau im Büro, einen sicheren und preiswerten Liegeplatz; einen kleinen Fischereibedarfshandel dazu, weit entfernt von einem Yachthandel wie West Marine. Obendrauf gab es den Tipp eines Angestellten, doch einmal im aufgeschütteten Kies nachzusuchen. Der bestünde aus Fossilien des Meeresbodens. Neben Muscheln und anderem Kleinkram, könnte man dort auch Haifischzähne finden. In der Tat, sie waren zu finden!

Auf dem letzten Abschnitt von Norfolk bis Morehead City waren die Snow Birds, aufgereiht wie an der Perlenschnur, mit jeglicher Art von Booten unterwegs. Einrümpfer jeder Größe, Katamarane der größeren Dimension, Motorboote, mal elegant, mal eher im Stil eines Fischerbootes. Dazu die Fettmänner mit röhrenden Maschinen und Jetantrieb. Jetzt, alle der Sonne hinterher und, im Frühjahr, auf der Flucht vor den Hurrikans, nach Norden. In zwei Tagen soll es sich, vom Wind her, beruhigen, um dann auf nördliche Winde zu drehen. Dann ab nach Charleston. Die Tage bis dahin gibt es immer etwas zu Schrauben am Schiff.

Dass das Schiff inzwischen weiter südlich liegt, wird durch die auftauchenden Delfine und Pelikane belegt. Hinter jedem einlaufenden Fischer bildet sich eine Traube von Vögeln und Fischen, die auf die ausgenommenen Fischreste hoffen. Oft im Streit untereinander.

In Morehead trenn sich die Snow Birds. Ab hier werden einige Brücken und Wassertiefen auf dem ICW flacher. Die Motorbootfahrer bleiben auf dem ICW, sowie die kleineren Segler. Der Rest geht, bis nach Charleston, über die Flachs an der Ostküste im Atlantik, außen herum. Vorher müssen allerdings alle Antennen und Lichter wieder im Mast montiert werden. Im Schwell am Ankerplatz, in der Höhe des Mastes, nur bedingt eine positive Erfahrung. Mit dem erwarteten Winddreher auf Nord geht es dann die 210 Seemeilen nach Charleston flott durch die Nacht. Wenn es nur nicht so steinkalt wäre. Am Ankerplatz in Charleston wäre eine warme Wanne nicht schlecht, ist aber nicht. Trotzdem gut, schon einmal da zu sein. Da wir früher als geplant vor Ort sind, folgen zwei Tage vor Anker in Sichtweite der Marina. Zum Abend sind dort immer alle Plätze belegt. Die Karawane zieht durch. Erst mit unserem avisierten Reservierungstermin ist auch für uns ein Platz am „Megadock“ frei. Erst die warme Dusche und dann den Heizlüfter an.