Um 07.30 Uhr weckt mich das Schraubengeräusch.

Um 17.30 Uhr wird mit einem langen Achtungssignal und drei kurzen Tönen aus dem Nebelhorn der Feierabend eingeleitet. Die beiden Kreuzfahrer der „Paradies Bahamas Crusing Line“ verkehren zwischen Lake Worth und Freeport/Grand Bahama Island alternierend, alle zwei Tage.

Ab 140 $ kann man eine Kurzkreuzfahrt buchen. Durch die Nacht hin, einen Tag in Freeport, durch die Nacht zurück. „An awesome experience, with a lot of fun!“ Das Angebot wird offensichtlich gut angenommen. Beim Auslaufen sind die Decks der beiden Schiffe bisher immer gut bevölkert. Der Spaßfaktor brüllt einem, in Form der Animateure, auch schon vom Deck entgegen. Parallel zu den Kreuzfahrern laufen täglich die Versorger der Bahamas den Hafen von Lake Worth an. „Tropical“ steht auf fast allen Containern, die ab- und aufgeladen werden. Der Pilot hat gut zu tun.

Dazwischen kurven reichlich private Boote. Überwiegend Angelboote aller Größenordnungen. Die schwül warmen Weihnachtstage werden hier im Boot verbracht oder an den Stränden vom binnen gelegenen Peanut Island. Praktischerweise kann man hier gleich am Strand vom Boot aus picknicken. Da ist an den Atlantikstränden eher zu ruppig. Nach meiner Beobachtung sind das in aller Regel weiße Bootsbesatzungen. Im Waschsalon, in dem ich heute war, gab es nur schwarze Frauen, die Berge von Wäsche bewegten. So ist die Welt hier aufgeteilt.

Gestern habe ich das Krankensystem der USA kennengelernt. Mit Blick auf die Zeit in den Bahamas wollte ich meinen Pillenvorrat auffrischen, da ich nicht weiß wann wieder Besuch kommt. In der Apotheke konnte ich die Pillen nicht direkt kaufen. Ich brauchte ein Attest. Die Konsultation hat mich für zwei Rezepte 99 $ gekostet. Der Arzt hat mich nach dem Versicherungssystem in Deutschland und Europa ausgefragt und gleichzeitig das Versicherungssystem in den USA mit seinen unendlichen privaten und nach Bundesstaaten unterschiedlichen Regeln beklagt. Die Pillen wiederum sollten dann in der Apotheke 317 $ kosten. Alles, will ich hier nicht krankenversichert bin. Da habe ich die Notbremse gezogen und storniert. Jetzt will ich der TK schreiben, wie ich mich verhalten soll, um das Geld auch wiederzubekommen.

Für 99 $ weiß ich jedenfalls, dass mein Blutdruck mit 135 zu 72 sehr gut ist.

 

Am Ankerplatz bleiben die Segler in der Regel länger als ein paar Tage. Man bleibt nicht unbeobachtet. So kam ein Schweizer mit seinem Dinghi längsseits. Er hätte mich sein Port Washington/New York immer wieder mal an Ankerplätzen getroffen und wollte jetzt mal persönlich ein bisschen Small-Talk über woher und wohin machen. Seit langer Zeit fand mal ein Gespräch wieder auf Deutsch statt. Manchmal sprengen die Ankerlieger aber auch die eigene Dimension. Man kann sich ja auch an Land sich nicht seine Nachbarn aussuchen.

Sylvester war unter den Ankerliegern ausgesprochen ruhig. Kein Mensch fackelte hier seine abgelaufene Seenotmunition ab (ich auch nicht). Einzig der Wachhabende eines Frachters im Hafen war wohl Schlag zwölf über dem Knopf seines Nebelhorns zusammengebrochen. Das dröhnte deutlich länger, als die sechs Sekunden für einen langen Ton. Dafür war an Land umso mehr los. Bestimmt zehn professionelle Feuerwerke ließen sich beobachten. Es nahm kein Ende. Private Eruptionen, wie in Berlin, bleiben aus. Geknallt wurde offensichtlich auch nicht. Die guten Vorsätze zum Jahreswechsel werden in der Radioreklame aufgegriffen. Beworben wird ein Hypnotiseur, der für den Versuch mit dem Rauchen aufzuhören, aber auch bei Fressattacken, ob aus Frust oder Lust, eine „Erfolg- oder Geld zurück Garantie“ verspricht. Pro Anlass sind im Kongresshotel je zwei Stunden angesetzt. Wer da skeptisch ist, kann seine Zigaretten durch „Juul“ ersetzen, dass hier ebenfalls beworben wird. Eine elektronische Zigarette, die nach einem Bericht in der Berliner Zeitung, doppelt so viel Nikotin enthält, wie in der EU zugelassen. Finanzielle Engpässe im kommenden Jahr verspricht eine Werbung zu beheben, in der ein Makler „nur eine Handvoll engagierter Mitarbeiter“, hier in Florida, sucht. Man soll in den nächsten zehn Minuten anrufen, um bei einem Einführungsseminar dabei zu sein. Die Kernaussage lautet: „Making money, with other people’s money“. Dieselbe Werbung hatte ich schon im Sommer in Maine gehört. Wer sich mit seinen guten Vorsätzen angesprochen fühlt, bitte melden, ich kann vermitteln (provisionsfrei, not with other people‘s money!).

Ansonsten alles Gute zum neuen Jahr.

Am sonnigen Neujahrstag strömte alles an die Strände der Peanut Island in Lake Worth. Im Inneren wird der ausgebaggerte Sand aus dem Wendebecken des Hafens aufgeschüttet. Außen herum gibt es einen Mangrovensaum und davor Sandstrände. Picknick- und Grillplätze sind unter Palmen angelegt und man kann mit flach gehenden Motorbooten gleich bis auf den Strand fahren. Das wird reichlich angenommen. Aber ich muss das Schiff gar nicht verlassen, um ein bisschen Hafenkino zu haben. Bei starkem Südwind hat sich ein unbesetztes Segelboot von seiner Mooring im Süden losgerissen und treibt in unser Ankerfeld. Ich bin der letzte Ankerlieger vor der Fahrrinne der Fahrrinne der Hafeneinfahrt. Bevor ich jedoch eine Rettungsaktion starten kann, treibt der Segler gegen den Ankerlieger vor mir, sodass der eine Leine festmachen kann und das Schiff sichert. Die herbeigerufene Coast Guard und der Sheriff übernehmen. Nett sind auch die täglichen Dinghifahrten der Hundebesitzer an Land. Einige Hunde sind so erfahren, dass sie während der Fahrt auf den Rändern der Schlauchboote balancieren. Andere hingegen sind mit Rettungsweste unterwegs.

Beim morgendlichen Springhochwasser, es ist gerade Neumond, sammeln sich plötzlich mehrere Monstermotorboote im Wendebecken des Hafens. Demonstration von Geld oder Hafenblockade? Mitnichten, über Funk höre ich mit. Im Süden, in West Palm Beach, gibt es wohl eine Marina und Werft für Supermotorboote. Für die Großen sind die Flachs auf dem Weg dorthin wohl nur bei Springhochwasser zu passieren. Die ganz Großen unter den Großen werden von werfteigenen Schleppern dahin bugsiert, ohne dass ihre Schrauben laufen. Die anderen folgen in Schleichfahrt unter eigener Maschine im Gänsemarsch.

An den Kaianlagen landen in Abständen Frachter mit dem Heimathafen Rotterdam an. Auf den gestapelten Containern thronen festgezurrte Sportboote. Motorboote und Segler mit stehendem Mast gleichermaßen. Mit dem bordeigenen Kran werden sie wie die Enten ins Hafenbecken gesetzt. Es werden z.Zt. mehr Boote angeliefert, als wieder nach Europa mitgenommen.

Auch im neuen Jahr ist mal wieder seit Tagen Murphy an Bord. Nach über 120h ohne Probleme, ist vor ein paar Tagen der Generator wegen zu heißem Auspuff stehen geblieben. Logische Erklärung, kein Kühlwasser. Entweder Einlauf verstopft oder Impeller defekt. Es war der Impeller. Das Ding ohne Ausbau der Wasserpumpe zu ersetzen, ist wegen der Enge in der Backskiste und an der Maschine, nicht ganz leicht. Habe es aber hinbekommen. Leider blieb das Problem. Das bedeutete, dass wahrscheinlich noch irgendwo in den Rohren an der Wasserpumpe ein abgerissenes Gummiteil vom Impeller steckte. Also musste die Pumpe doch raus. Dazu muss der Generator vorn angehoben werden. Das wiederum bedeutet, Demontage der Wasseranschlüsse und des Auspuffsystems. Habe ich auch hinbekommen. Im Wasserpumpenausgang hatte sich ein vom Impeller abgerissenes Gummiteil völlig verklemmt. Das ging nur raus, wenn dazu der neue Impeller wieder rauskam. Dabei wurde er geschlachtet. Den nächsten neuen Impeller rein und die Pumpe wieder eingebaut.  Leider blieb das Problem. Damit war der Tag gelaufen.

Am nächsten Tag versuchte ich herauszubekommen, woran es liegt. Das Wassersystem völlig zerlegt und immer wieder den Generator gestartet, um zu sehen, ob Wasser kommt. Dazu am Kartentisch den Generator starten, dann durch Cockpit und in die Backskiste klettern. Nachsehen, dann wieder raus und unten den Generator stoppen. Drei Mal habe ich die Wasserpumpe ein und wieder ausgebaut. Ein weiterer Impeller musste dran glauben. Bei dem hin und her hatten sich weitere Impellerteile im System verteilt. Am Abend lief es dann. Bei laufendem Generator hockte ich in der Backskiste und war dabei die Schläuche mit Kabelbindern wieder zu fixieren, als ich plötzlich vom Generator geduscht wurde. Leider hat sich mein Anfangsverdacht, dass es sich um eine lose Schlauchschelle handelte nicht bestätigt. Das Kühlwasserrohr zum Wärmetauscher hat sich am Wärmetauscher gelöst. Damit war auch der Tag durch.

Jetzt habe ich jetzt den kompletten Wärmetauscher ausgebaut und hoffe hier jemanden zu finden, der mir das Rohr wieder einschweißt. Obwohl ich da Zweifel habe, da es nach Kupfer aussieht.

Der Werftservice, den ich als erstes befrage, sieht das auch so. Er kann nur Schweißen, aber nicht Hartlöten. Ich werde zum Klempner geschickt. Mit dem Auto „gleich um die Ecke“, zu Fuß aber ein guter Marsch. Der Klempner stellt sich als Lager für Sanitärbedarf heraus. Das hilft nicht weiter. Auf dem Weg dorthin kam ich an einer LKW Werkstatt vorbei. Die können dort nur elektrisch Schweißen. Der Gute schickt mich zwei Blöcke weiter. Irgendwo an der Ecke soll eine Metallbude sein. Was ich sehe, ist eine große Reklame für Bootstextilien und eine lange Reihe Autos davor. Wohl die Wagen die der Angestellten. Als ich schon ernüchtert abdrehe, entdecke dazwischen einen Pick-up, mit einer Beschriftung für Metallarbeiten. Ich frage mich durch. Die Metallwerkstatt ist ein Teil des gesamten Ladens. Ich kann mein Teil da lassen. Der Schweißer, Jack, ist gerade unterwegs, wird aber einen Blick darauf werfen. Am nächsten Tag frage ich telefonisch nach und mache mich wieder auf den Weg. Jack hat festgestellt, dass es sich um Messing handelt. Schweißen fällt also aus. Hartlöten ginge, aber ohne Garantie dafür, dass sich bei der nötigen Erhitzung des Teils nicht andere Lötstellen angesetzter Rohre lösen. Es weiß auch niemand, was sich im Inneren abspielen wird. Ich hatte das schon geahnt und teile seine Bedenken. Kleben ist für mich die Alternative. Wir verabreden, dass ich über das Wochenende einen Versuch starte. Falls der nicht erfolgreich ist, bringe ich den Wärmetauscher am Montag zurück und er kann einen Lötversuch machen. So ist das Teil sowieso nicht zu gebrauchen.

Heute Morgen habe ich das Epoxy angerührt und das gelöste Rohr angesetzt. Bis jetzt hält es, auch unter Ruckeln per Hand. Mal abwarten, wie es nach dem Einbau aussieht. Leider schlecht. Zwei Mal klebe ich das Rohr ein und baue alles wieder zusammen. Zwei Mal löst sich nach 20 Minuten Laufzeit des Generators das Rohr und die Nahtstelle wird undicht. Die Vibrationen der laufenden Maschine sind wohl zu stark. Alles für die Katz. Ich baue die Anlage wieder auseinander. Inzwischen träume ich sogar schon von der Reparatur. Montagmorgen bin ich erneut im Laden. Eigentlich ist geschlossen. In der Metallwerkstatt wird jedoch gearbeitet. Jack brät bestimmt eine Stunde an der Verbindung herum. Diverse Lotmaterialien und Hitzegrade werden probiert. Schlussendlich hält das eingesetzte Rohr auch einem Hammerschlag stand. Ob die Verbindung jedoch auch wasserdicht ist, kann nur im Betrieb festgestellt werden. Er bedauert nicht mehr tun zu können und will noch nicht einmal eine Rechnung schreiben. Ich dränge ihm ein Trinkgeld auf. Jetzt ist der Wärmetauscher eingebaut und der Generator eine Stunde ohne Probleme gelaufen. Ich will es ja nicht beschreien, aber es könnte klappen. Skeptisch habe ich die Schallschutzkapsel noch nicht über den Generator gestülpt und auch die Backskiste nicht wieder eingeräumt. Das werde ich tun, wenn Morgen auch der zweite Versuch positiv ist.

Das war er. Jetzt lief der Generator schon mehrmals eine Stunde problemlos.

Toi, toi, toi.

Der kleine Strand zwischen den Marinas, an dem ich immer mit dem Dinghi anlande, ist ein guter Platz, um kostenlos sein Beiboot zu parken. Das sehe offensichtlich nicht nur ich so, denn, täglich pätscheln, paddeln und rudern ziemlich abenteuerlich aussehende Gestalten auch hierher. Vor den Marinas und den ICW ankern einige kleine Segelboote, von denen ich anfangs dachte, die hätte der letzte Hurrikan so gebeutelt. Zerfetzte Segel, gebrochener Mast, Fender ohne Luft und zugemüllte Decks. Aber die werden von den, männlichen, älteren, Freaks bewohnt, die auch am Strand ankommen. Inzwischen kennt man sich von Sehen und grüßt locker ab. Wie werden die wohl mich einschätzen, da ich der Einzige bin, der hier per Außenborder auftritt.

Seit vorgestern ankert neben mir ein kleines deutsches Segelboot mit großem Adenauer. Ich bin dann am Morgen mal rüber, um Hallo zu sagen. Drei junge Männer aus Franken schrauben am Schiff. Sie wollen nach Kolumbien. Das Gespräch endet mit einer Einladung zu mir aufs Schiff. Der passende Anlass, um das Werkzeug mal wegzuräumen und Ordnung zu schaffen. Am Abend höre ich dann eine Geschichte, die mir die Ohren klingeln lässt. Die drei kommen aus Franken. Zwei sind Mitte zwanzig der andere Anfang dreißig. Als ich nach Segelerfahrungen frage, kommt als Antwort: „Keine!“ Der Älter ist drei Jahre auf einer AIDA gefahren, was die beiden anderen wohl als ausreichende Qualifikation für ein Segelboot ansahen. Die Geschichte beginnt damit, dass zwei mit einem Wohnmobil von Kanada bis nach Feuerland fahren wollten (die Panamericana). Das Auto haben sie in Kanada gekauft und sind los. Zwischen Mexico und Belize mussten sie feststellen, dass es durch den Urwald nicht weiterging. So wurde aus der Überlegung diesen Teil der Strecke mit einem Boot zu umfahren, die Idee sich doch gleich ein Segelboot zu kaufen. Das Wohnmobil wurde Online gestellt und sofort, unbesehen, von einem Deutschen gekauft, dessen Wohnmobil in Mexiko verreckt war. Nun kann man in Mexiko ein eingeführtes, kanadisches zugelassenes Wohnmobil nicht einfach weiterverkaufen. So sind Käufer und Verkäufer nach Kanada geflogen, haben dort die Papiere gemacht und sind zurück. Jetzt musste noch derjenige mit dem Wagen aus Mexico ausreisen, der den Wagen seit der Einreise im Pass hatte. So sind Käufer und Verkäufer über die Grenze nach Belize. Von dort sind sie dann wieder nach Mexico eingereist, nur hatte jetzt der neue Eigentümer das Fahrzeug in seinen Papieren. Anschließend wurde ihnen gesagt, dass Mexico kein guter Ort zum Schiffkauf sei. In Florida wäre der Markt größer. Da stieß dann der Dritte hinzu und man war gemeinsam soweit flüssig, dass für 6000,- $ ein 30 Fuß Segelboot erstanden wurde; incl. Benzineinbaumaschine und Alu Beiboot. Das war jetzt drei Wochen her. Seit dem hatten sie sich auf dem ICW, von im südlichen Florida gelegenen Schiffsübergabeort, bis hierher vorgearbeitet. Dabei sei ihnen schon die Maschine ausgefallen, sie waren auf Grund gelaufen und die Batterien sind auch runter. In der Hoffnung, draußen Wind zu finden, um auf die Bahamas zu segeln, hätten sie sich ohne Maschine auch aus dem Hafen heraustreiben lassen. Leider war da kein Wind, sondern nur der Golfstrom. Als sie merkten, dass sie abgetrieben werden, schafften sie es noch, sich an einer Fahrwassertonne festzumachen. Mit ach und krach ging es zurück und sie schmissen hinter mir den Anker. Ich guckte in freundliche Gesichter, die mir mitteilten, dass sie damit jetzt schon mehr Erfahrung besäßen. Sie vermuteten, dass die Sache mit dem Segeln wohl doch komplizierter ist, als sie sich das bisher dachten. Kolumbien sollte sein, weil man doch Südamerika sehen wolle. Die karibischen Inseln liegen ja zwangsläufig dazwischen. Zwischendurch sollte noch eine Freundin in der Dom. Rep. eingesammelt werden. Bis April wollten sie in Kolumbien sein. Ich will das jetzt im Detail nicht alles ausführen, aber die Nacht wurde ein Crashkurs in der Lektion, wie man sich nicht so schnell auf See umbringt. Alle Fragen zum Schiff von Anker bis Zylinderkopf offenbarten eine Baustelle. Dazu navigatorisch Null, weil die elektronische Karte auf dem Smart Phone ja alles angibt. Keine Revierkenntnisse (da draußen ist der Atlantik!), den Entfernungen und auch keine Idee zu den Formalien, beginnend hier in den USA. Zumindest hatte ich den Eindruck, dass sie mir meine Bedenken und Hinweise abnahmen. „Das hätten sie auch schon gehört.“ Schlussendlich hatten wir eine Liste für Schiff, Material und Mensch. Solange die nicht zufriedenstellend abgearbeitet ist, wird nicht daran gedacht zu starten. Das führte untereinander zu heftigen Diskussionen mit dem Kollegen, der sein Date in der Dom. Rep. hat. „Wenn das Wetter am Wochenende passt können wir doch los.“ Ich konnte nur antworten: „Wenn das Wetter bis in die Dom- Rep nicht so bleibt, wovon auszugehen ist, könnte das dein letztes Date gewesen sein.“ Nachdenklich haben wir uns verabschiedet. Noch habe ich sie im Blick. Ich bin gespannt, was das noch wird.

Heute Morgen wollten sie eine Testfahrt mit der Maschine machen. Auf meinem Weg zum Super markt bin ich mal kurz rüber. Das Ergebnis war nicht zufriedenstellend. Mit zunehmender Motortemperatur sinkt der Öldruck stetig. Wir rätseln gemeinsam über die Ursachen. Ohne Ergebnis lasse ich sie mit nachdenklichen Gesichtern zurück. Allerdings nicht, ohne noch eine Einladung zu einem Topf Nudeln für heute Abend auszusprechen. Als Trostspender sozusagen.


Meinem Weg zu Walmart bestreite ich mit den öffentlichen Verkehrsmitteln, also per Bus. Die Richtung Nord-Süd ist leichter zu befahren, als Ost-West. So düse ich 30 Minuten nach Süden, um anschließend die fast parallele Strecke 45 Minuten wieder nach Norden zu fahren. Ein Schauspiel ist das Umsteigen. Der neue Bus wird gerade von einer neuen Fahrerin übernommen. Bevor ein Fahrgast einsteigen darf testet sie die vitalen Funktionen des Busses; Motor aus und neu gestartet, alle Zielanzeigen laufen durch, Absenkung des Einstiegs, Rollirampe raus und wieder rein. Anschließend werden mit einem Tuch die Kasse, die Fahrscheinausgabe und die Türgriffe desinfiziert. Dann steht sie neben Fahrersitz und Kasse und wünscht jedem neuen Fahrtgast „a nice afternoon, have a nice day today oder what a nice day today“. Davon sind Berliner Busfahrer meilenweit entfernt. Auf fast der gesamten Strecke bin ich der einzige Weiße im Bus. Am Abend habe ich die jungen Segler zu Gast. Da hat sich wohl inzwischen die Einsicht durchgesetzt, dass sie sich mit der Segelidee und dem Boot dafür etwas übernommen haben. Um den Gedanken zu beflügeln, biete ich ihnen an, sie bis Nassau mitzunehmen, wenn sie bis zu meinem voraussichtlichen Abreisetermin, Anfang Februar, ihr Schiff verkauft haben. Man wird sehen.

Gleich mehrere Kaltfronten ziehen mit Schauern und Starkwind in den nächsten Tagen über den Ankerplatz. Immer wieder habe ich mal einen Blick auf die fränkischen Nachbarn. Spätestens bei den Wetterverhältnissen zahlt sich aus, dass sie meinem Rat gefolgt sind, sich vorher noch 30 Meter Ankerkette zu besorgen und sich auch ins flachere Wasser zum ankern zu verlegen. Das passt alles besser, als nur mit 3 m Kettenvorlauf und Leine. Da wären sie wohl wieder abgetrieben. Inzwischen ist auch eine Grundsatzentscheidung gefallen. Sie wollen das Schiff wieder loswerden. Bevorzugt an den Verkäufer. Der ist nur z.Zt. in Brasilien, sodass sich da vor nächster Woche nichts entscheidet. Parallel dazu wird es im Netz inseriert. Einer fliegt am Wochenende nach Hause, die anderen Beiden wollen mit mir nach Nassau, wenn der Verkauf klappt. Mal schauen, wie sich das entwickelt.

Nach einer vom Starkwind durchschaukelten Nacht, wird heute Morgen mit einem Alarmton das Radioprogramm für eine Tornadowarnung unterbrochen. Die nächsten beiden anstehenden Fronten haben sich wohl so weit entwickelt, dass in den Gewittern mit Böen bis zu 50 Knoten (10 Bft.) zu rechnen ist. Dazu hat sich in der ersten Front noch ein Tornado entwickelt. Der soll, lt. Wetterbericht, leicht nördlich von mir durchgehen und auf den Atlantik ziehen. Hier ist es z.Zt. nur schwül warm, bei frischem, böigem Wind. Schaue ich nach Süden, so sehe ich blauen Himmel, mit weißen Wolken durchsetzt. Schaue ich jedoch nach Norden, so ist der Himmel dunkelgrau bis schwarz und fast ohne Konturen. Die Grenze liegt genau über mir. Am Strand von Peanut Island entdecke ich dabei ein gestrandetes Schiff. Das muss wohl letzte Nacht passiert sein, da es gestern noch nicht da war. Mal wieder Glück gehabt. Weniger mit der Front. Ich sehe die weiße Wand über das Wasser direkt auf mich zukommen. Als die letzte Luke gerade zu ist, prasselt es auch schon los. Der Wind wird heftig, ist kühl und springt von SW auf NW. Die Sicht ist weg. Alles, gefühlt, in Sekunden. Es dauert 20 Minuten, bis sich dann Schauer- und Windböen für den heutigen Tag regelmäßig abwechseln. Im Ankerfeld hat sich ein Trimaran los gemacht und treibt. Der Hund an Bord läuft aufgeregt hin und her. Nur mit dem Außenborder allein, schafft es der Skipper nicht gegen an. Erst als ein großes Schlauchboot längsseits geht und mitschiebt, kann das Boot wieder verankert werden.

Heute Morgen plätschert alles um mich herum friedlich vor sich hin. Gelegenheit für einen kleinen Landausflug. Auf der letzten Busfahrt bin ich am Palm Beach Outlet Center vorbeigekommen. Das ist doch mal ein Ziel für heute. Ich brauche eine neue Arbeitshose, falls mal wieder was am Generator sein sollte (bloß nicht beschreien). Inzwischen kann ich ja der amerikanischen Art, sofort und ohne Umschweife Kontakt mit Fremden aufzunehmen durchaus etwas abgewinnen. Die ältere Dame an der Bushaltestelle beginnt sofort ein Gespräch mit mir. Es ist ja Zeit gemeinsam auf den Anschluss zu warten. Es beginnt harmlos mit der Feststellung, dass es kalt geworden ist. Eigentlich will ich das freie WiFi hier nutzen, um meine Mails zu beantworten. Meine Antworten sind daher kurz angebunden und ich beschäftige mich deutlich mit dem Smart Phone. In Deutschland ein Signal, dass das Gegenüber nicht wirklich an einem Gespräch interessiert ist. Sie textet munter weiter. Sie ist erst heute Morgen nach Hause gekommen. Texas Line Dance in einer Bar bis um drei Uhr. Da war es richtig kalt. Zu Hause hatte ihr Mann die Heizung so hochgedreht, dass sie im Schlafzimmer nicht schlafen konnte und ins Wohnzimmer gezogen ist.  In den weiteren Minuten der gemeinsamen Wartezeit erfahre ich, dass sie die zweitälteste von sieben ist. Sie sagt, sie sei Irin. Als ich frage, aus Nordirland oder der Republik schaut sie irritiert. Na, sie ist Irin. Okay, irgendwann sind ihre Eltern oder Großeltern eingewandert. Das ist mir hier in Gesprächen schon öfter untergekommen. Kein Mensch hat sich bisher als Ami bezeichnet. Von Italien, über Griechen bis Haiti, alles dabei. Das gibt meinem Blick auf die deutsche Diskussion um Integration einen neuen Aspekt. Es geht jedoch mit ihr weiter. Schlussendlich weiß ich, dass sie jetzt zum dritten Mal verheiratet ist. Einmal geschieden, einmal verwitwet, jetzt mit dem Vater der Kinder zusammen. Sie sagt mir auf den Kopf zu, dass ich Deutscher bin. Ich frage verwundert nach, ob es meine Aussprache oder mein Aussehen ist, dass mich outet. Nein, ihr zweiter Mann war ein Deutscher, Hans, und ich sehe dem Schwiegervater ähnlich. Die Begrüßungsformeln über den Tag bekommt sie noch auf Deutsch zusammen. So geht es heiter weiter, bis sie feststellt, dass sie jetzt eine rauchen muss. Das bitte gern abseits der Wartenden. „Have a nice day“. Mein Bus kommt. Kaum sitze ich, wird der freie Platz neben mir von einem Mann, mit einem eher mittelamerikanischen Aussehen, angesteuert. Kaum sitzt er, beginnt auch hier der Small-Talk. Aufhänger ist die Feststellung, dass Bier trinken im Bus eigentlich verboten ist, was der schwarze Fahrgast weiter vorn offensichtlich ignoriert und einen Schluck aus der Dose nimmt. Ich will nun mein Smart Phone nicht wieder herausholen. Es scheint ja eh nichts zu nutzen. So erkläre ich ihm, dass ich Fremder bin und daher nicht so viel rede. Findet er nicht schlecht. Er redet ja auch nicht so viel. Auf der Basis erfolgt dann ein Austausch über die Regeln und Gesetze beim Busfahren, bis er aussteigen muss. „Have a nice day.“ Auf die Outlet-Center muss es ein Copyright geben. Zumindest die, in denen ich bisher war, in Deutschland, Spanien und den USA, sahen alle gleich aus; architektonisch, sowie mit den vertretenden Labeln. Es gab auch eine kurze Hose, die ich jetzt zur Arbeitshose erkläre. Nächster Busstop bei Aldi. Den hatte ich schon vorher entdeckt und war neugierig auf den Vergleich mit Berlin. Erste Überraschung, anders als bei allen Supermärkten in den USA bisher, bekommt man hier nur einen Einkaufswagen gegen Pfand, wie bei uns. Der wiederum wird für das System an der Kasse benötigt. Bei uns zieht die Kassiererin im Affentempo die Waren über den Scanner. Der Kunde muss das alles in seinen Einkaufswagen baggern. Hier steht neben der Kasse ein leerer Wagen. In den legt die Kassiererin die gescannten Waren. Damit spart Aldi, die in den USA üblichen Einpacker an der Kasse. Den eigenen, jetzt leeren Wagen bekommt dann der nächste Kunde. Das Warenangebot ist natürlich amerikanisch ausgerichtet. Jedoch eben nicht ganz. Leider hat sich meine Hoffnung auf Schwarzbrot zerschlagen, aber es gibt einige Produkte, die als „Deutsch“ ausgezeichnet sind. Von Bier bis Bratwurst. Ein bisschen was geht mit.

Heute Nachmittag war es soweit. Ich habe sie gespürt, die Erschütterung der Macht. Ein leicht regnerischer, windstiller Tag und ich war gerade mit dem Dinghi vom Einkauf zurück, als das Schiff leicht erschüttert wurde. Anfangs dachte ich noch an eine Welle, bis es wieder passierte. Untypisch für eine Welle. Der Blick aus dem Cockpit zeigte mir, dass Tshotsholoza ein anderes Schiff quer vor dem Bug hatte. Von daher kamen die leichten Erschütterungen im Schiff. Erst einmal die Maschine an und rückwärts etwas weg. Ein Ankerlieger aus Kanada und ich waren aneinandergeraten. Es brauchte eine Weile, bis ich feststellte, dass nicht ich die Ursache war. Der Kanadier trieb vor Anker ab. Noch heute Morgen hatte ich der Besatzung im Dinghi zugewunken. Jetzt war niemand an Bord. Als das Schiff an mir vorbeitrieb, konnte ich eine Leine festmachen und den Dampfer einfangen. Zum Glück blieb es schwachwindig, da jetzt ja zwei Schiffe an meinem Anker hingen. Allerdings geht hier am Ankerplatz der Tidenstrom ordentlich. Dafür hatte der Kanadier wohl mit zu wenig Kette eingeparkt. So war er auf dem Weg auf die Rockies von Peanut Island, wo ja schon ein gestrandetes Schiff lag. Mit dem Einbruch der Dunkelheit kam die Besatzung wieder. Zwei Männer. Aus den sehr affektiert schrill verlautbarten Danksagungen an Gott und mich, zog ich meine, von Vorurteilen völlig freien, Schlüsse. Aber erst einmal ging es darum, das Schiff zu sichern und mich von der doppelten Last zu befreien. Morgen soll es eine Flasche Wein geben: „We promise“.

Heute schüttet es wie aus Kübeln, was wohl die Sache mit der Flasche Wein ertränkt. Ich kann aber meine Vorurteile pflegen. Das Namensschriftzug des Schiffes ist in lila gehalten. Beide Zierstreifen, die Kappen der Navibeleuchtung, der Wasserpass und das Antifouling chargieren zwischen lila und rosa. Schön, dass nicht nur die Heteros unterwegs sind.

In einer kurzen Regenpause klopft es am Schiff. Die kanadische Kapitänin ist mit einer Flasche Trockenbeerenauslese und einem nochmaligen Dankeschön da. Ihr Nagellack hat die Farbe des Antifoulings.

Bei den Franken war heute der Schiffsverkäufer an Bord. Er wird das Schiff nicht zurückkaufen. War irgendwie zu erwarten. Er ist wohl froh, die Baustelle los zu sein. Eine enttäuschte Hoffnung für die jungen Segler. Da ich nicht davon ausgehe, dass sich in den nächsten Tagen ein Käufer finden wird, nicht bei dem Markt und dem Schiff, rege ich an, sich einen Dritten zu suchen, der den Verkauf für sie übernimmt. Sicher auch nicht einfach, aber sie würden dann nicht mehr auf unbestimmte Zeit hier auf einen Käufer warten. Mal sehen, ob das klappt.

Auf dem Ankerplatz ist täglich Bewegung. Einige Boote liegen jetzt schon ähnlich lange hier, wie ich. Andere wechseln nach wenigen Tagen. Spannend ist immer wieder die Ankerplatzsuche der neu Ankommenden zu beobachten. Von den Langzeitliegern gibt es immer wieder Zurufe, wenn der avisierte Ankerplatz, wegen der Tidenströmung, zu dicht sein sollte. Als ich gestern mit dem Schlauchboot zum Schiff zurückkehrte, winkte mich ein Schiff heran. Es lag etwas komisch zum Wind und die Ankerkette spannte in die falsche Richtung. Es war auf Grund gelaufen. Die beiden Männer auf dem Vorschiff waren etwas orientierungslos. Sie fragten mich, wo ich denn an ihrer Stelle ankern würde. Ich wies ihnen die Richtung zum tieferen Wasser und empfahl ihnen den Platz hinter mir. Da liegen sie jetzt. Zum Abend lief ein Segler ein, von dem dauernd Töne ausgingen, als ob alle elektrischen Geräte einen Warnton aussandten. Die Frau auf dem Vorschiff rief mir zu, dass es sich nur um ihre Vögel handle. Ich solle mir keine Sorgen machen. Unter dem hoch hängenden Beiboot waren zwei Volieren montiert, aus den denen es regelmäßig piepte. Jeden Tag ein Abenteuer.

Die Franken sind jetzt mit dem Preis soweit runter, dass sich Interessenten gemeldet haben, die auf dem Schiff wohnen wollen, weniger segeln. Bis Montag soll sich etwas entschieden haben. Ich war heute in der Wäscherei. Auf dem Rückweg im Dinghi bescherten mir zwei Motorboote solche Wellen ins Schiffchen, das in beiden Ikeataschen je die Hälfte der Wäsche frisch eingesalzen wurde. Das darf ich alles noch einmal waschen. Der Waschsalon liegt praktischerweise gegenüber vom Publix Supermarkt. Der wiederum verfügt über ein freies WiFi und diverse Steckdosen. So lassen sich Büroarbeit und Waschtag gut miteinander verbinden. Nebenbei werfe ich noch einen Blick auf die Sonderangebote des Tages. Übrigens, am 5. Februar ist „Weltnutellatag“, so sagt die aktuell aufgestellte Werbefläche im Markt. Ich lerne immer dazu.

Wider Erwarten haben es die Franken doch geschafft, ihr Boot zu verkaufen. Es ging schlussendlich über den Preis mit 50% Verlust auf den Kaufpreis von vor 5 Wochen. Jetzt sind sie bei mir an Bord und mit der Situation nicht unzufrieden. Heute war großer, gemeinsamer Einkaufstag, da es Morgen auf die Bahamas geht. Ich finde es gut, für ein paar Tage nicht allein unterwegs zu sein. Gleichzeitig erscheint es mir besser für die Beteiligten, dass der große Törn von hier nach Kolumbien, so nicht klappt. Mal sehen, ob ich ein paar seglerische Basics vermitteln kann.